„So
etwas habe ich vor ein paar Jahren zuhauf in Paris herumfahren sehen.
Nun sag mir doch einmal, welche Existenzberechtigung diese Fahrzeuge
haben“ war der Beginn eines Gesprächs mit Frank Kirstein vom
Kawasaki-Händler AMS im Berliner Süden. Und schon hatte ich mich als
ziemlich ahnungslos geoutet.
Ich
meinte damit solch ein vermeintlich merkwürdiges Gefährt, das anstelle
eines Vorderrads davon gleich zwei mit sich herumführt und mir bei einem
Besuch in einer Ecke des Verkaufsraums auffiel. Mit einem Schmunzeln im
Gesicht klärte Frank mich auf: Zum einen, dass ich solch ein Modell
gewiss nicht vor ein paar Jahren in Paris gesehen hätte, sondern dass
dies seinerzeit wohl der eine oder andere Piaggio MP3 gewesen sein mag.
Hier handele es sich aber um ein Quadro 350 D, also einen ebenfalls aus
italienischem Hause stammenden Mitbewerber.
Und
die Exstenzberechtigung wurde bei der Gelegenheit auch schnell
erläutert: Durch das doppelte Vorderrad gilt dieses Fahrzeug bei uns als
mehrspuriges Fahrzeug und darf deswegen auch mit einem ganz normalen
PKW-Führerschein gefahren werden. Nicht nur mit einem von diesen älteren
Exemplaren, irgendwann von 1980 oder früher, mit dem die Besitzer auch
schon 125er fahren dürfen. Nein, mit jedem gültigen PKW-Führerschein
darf man ein solches „Dreirad“ um die Ecken jagen.
Sofort
fielen mir mehrere Menschen in meinem Umfeld ein, die mir zwar neidisch
auf meinem „Reisedampfer“ genannten Motorrad hinterherblicken, aber vor
dem Aufwand und den Kosten für einen Motorrad-Führerschein
zurückschrecken. Diese Maschine vor mir schien für solche Menschen wie
gemacht zu sein. Auch wenn ich ansonsten aufgrund meiner längeren Reisen
bekennender Freund von Tourenmotorrädern bin, musste ich nun natürlich
wissen, ob sich solch ein Gefährt auch wirklich wie ein Motorrad bewegen
lässt.
„Aber
nur unter einer Bedingung“ versprach Frank mir, dieses Fahrzeug für
eine ausgiebige Probefahrt zur Verfügung zu stellen: Ich müsse mich auf
das Fahrzeug einlassen, ihm mit ein wenig Geduld ausreichend Gelegenheit
geben, mich zu überzeugen. Und ich solle nicht voreingenommen an das
Fahrerlebnis herangehen. Leichter gesagt als getan, aber ich tat so, als
wäre das für mich kein Problem.
Also
sahen wir uns den Quadro 350 D etwas genauer an, um mich mit seiner
Funktionalität vertraut zu machen. Ein Automatikgetriebe ist für
Rollerfahrer ebenso wenig Neues wie die Notwendigkeit, beim Drehen des
Zündschlüssels eine der 3(!) Bremsen betätigen zu müssen.
Genau,
das Fahrzeug ist tatsächlich mit drei Bremsen ausgestattet. Seitlich am
Lenker angebracht findet man die Handbremshebel für Vorder-(rechts) und
Hinterradbremse (links). Und da das Fahrzeug eben auch nur mit einem
gültigen PKW-Führerschein gefahren werden darf, ist ein Bremspedal
zusätzlich im rechten Fußraum plaziert.
Unterhalb
des Lenkers ist ein roter, deutlich sichtbarer Schieberegler
angebracht, der die beiden neigungsfähigen Vorderräder arretiert. Mit so
fixierten Vorderrädern auf dem heimischen Grundstück oder in der Garage
abgestellt kann das Fahrzeug allein stehen gelassen werden, weil es
infolge der feststehenden Vorderräder nicht mehr umkippen kann.
Lediglich auf öffentlichem Straßenland und verbunden mit der Gefahr,
nicht nur neugierige Blicke auf sich zu ziehen sondern manch
probierfreudigen Interessenten zu einem „Was passiert denn, wenn ich
diesen roten Hebel betätige“ zu locken, reicht das nicht aus. Hier
empfiehlt sich der sichere Stand auf dem Hauptständer.
Ansonsten
findet man im Cockpit neben einem analogen Drehzahlmesser mit weißem
Hintergrund eine Digitalanzeige für Tacho, Uhrzeit, Kilometerstand sowie
einigen Warn- bzw. Kontrolleuchten. Alle Anzeigen sind sowohl tagsüber
bei verschiedenen Witterungsverhältnissen als auch bei Dunkelheit sehr
gut abzulesen. Die Kombination aus analogen und digitalen Anzeigen muss
man wohl mit Blick auf die Motorräder der meisten Hersteller als
zeitgemäß bezeichnen; ob es dem persönlichen Geschmack entspricht, wird
jeder für sich selbst entscheiden können.
Die
übrigen (Standard-)Funktionen finden sich dort, wo sie hingehören:
Links am Lenker die Umschaltung auf Fernlicht, die Hupe sowie der
Blinker für beide Seiten mit mittigem Rückstellknopf und auf der rechten
Seite neben dem elektrischen Starter und dem Lichtschalter sogar eine
Möglichkeit, im Bedarfsfall eine vorhandene Warnblinkschaltung zu
aktivieren.
Unterhalb
des Lenkers sind außerdem einige kleinere Staufächer untergebracht für
die berühmten Kleinigkeiten, die man gerne so bei sich hat. In dem
untersten Fach befindet sich außerdem in der Rückwand platziert eine
kleine Steckdose, über die beispielsweise ein Navigationsgerät mit Strom
versorgt werden kann.
Ein
geräumiges Staufach findet sich dann natürlich unterhalb der Sitzbank.
Allerdings bekommt man dort leider keine zwei Integralhelme verstaut.
Ansonsten rundet ein kleiner Gepäckträger das Transportangebot ab. Hier
können Taschen mit Hilfe geeigneter Spanngurte befestigt oder ggf. auch
ein kleineres Topcase angebracht werden.
Die
Sitzbank selbst ist stark ausgeformt, ausreichend breit und straff
gepolstert. Für den Sozius ist eine deutlich erhöhte Sitzposition
vorgesehen, die auch kleineren Mitfahrern oder Mitfahrerinnen einen
freien Blick über den Fahrer hinweg ermöglicht. Eine pfiffige
Detaillösung hat sich der Hersteller bei den Sozius-Fußrasten einfallen
lassen. Diese werden im Soziusbetrieb mit sanftem Druck über eine
Federwirkung ausgeklappt, im Solobetrieb kann man sie mit ebenso
leichtem Druck wieder einklappen und erhält sich damit den schnittigen
Karosserieverlauf.
Zum
Thema Karosserie: Insbesondere von vorn wirkt der 350D kräftig; sein
markanter Doppelscheinwerfer signalisiert Dynamik. Irgendwie erinnert
der 350 D, wenn er so vor einem steht, an einen Hufe scharrenden Bullen,
der nur zu gerne loslegen möchte.
Also
tun wir ihm den Gefallen und ich drehe – zunächst auf dem
Geschäftsgrundstück – meine ersten vorsichtigen Runden. Dabei bekomme
ich das breit angelegte doppelte Vorderrad zunächst nicht aus dem Kopf
und traue mich kaum, mich in die Kurven zu legen. Dementsprechend groß
werden die ersten Kurvenradien und ich fürchte schon, Wendemanöver
könnten zu „ich fahre mal um den Block“ mutieren. Aber kaum verlasse ich
mich auf den Rat von Frank und traue dem Gefährt auch etwas Schräglage
zu, geht es gleich deutlich besser.
Tatsächlich
dachte ich zunächst, man würde den Quadro 350 D wie ein Quad bewegen,
also sehr aufrecht und ohne Kurvenneigung. Wegen der neigbaren
Vorderräder fährt man aber tatsächlich vom Bewegungsablauf auch mit
diesem „Dreirad“ wie auf einem Motorrad um die Kurven.
Nachdem
ich das verstanden hatte, ging es los in den Straßenverkehr. Und
natürlich begann es genau in diesem Moment, ein wenig zu nieseln. Also
ging ich es wieder etwas vorsichtiger an und erahnte an den
verschiedensten Stellen ein leichtes oder deutliches Wegrutschen.
Jedenfalls befürchtete ich dies, jedoch ohne, dass solche Momente
wirklich eintraten. Tatsächlich wirkte der Quadro 350 D auch bei nassen
Straßen und Nieselwetter mit seinen zwei Vorderrädern äußerst stabil und
flößte mehr und mehr Sicherheit ein.
Dennoch
beließ ich es an diesem ersten Tag wegen des ungemütlichen Wetters bei
nur wenigen Probekilometern und spekulierte auf die folgenden Tage und
besseres Wetter. Auf erste Nachfragen meiner Freunde, wie ich denn
klargekommen sei, antwortete ich noch ein wenig ausweichend. Irgendwie
würde es schon am Motorradfahren erinnern, aber irgendwie sei es doch
auch etwas völlig anderes. Und im Geiste hörte ich Franks mahnende
Worte, ich solle mich auf den 350 D einlassen und ihm Zeit geben, mich
zu überzeugen.
Am
folgenden Morgen überzeugte mich zunächst erst einmal das deutlich
bessere Wetter. Schnell stand der Entschluss fest, den Quadro 350 D
nicht nur in der Stadt, sondern auch ein wenig auf der Landstraße
auszuprobieren. Immerhin soll er ja auch landstraßentaugliche
Geschwindigkeiten meistern und darüber hinaus etwa 120 km/h anpeilen.
Schon
beim Start war dann etwas anders als am Vortag. Irgendwie hatte mir die
kleine Pause gut getan und ich traute dem doppelten Vorderrad im
Vergleich zum Vortag ganz offensichtlich mehr Schräglage zu: Fast wie
immer bog ich vom Grundstück auf die Straßen und brauste auf den drei
Rädern los. Apropos losbrausen: Der kleine nur 310 cm3 große Motor
beschleunigt die immerhin etwa 220 kg Leergewicht zzgl. Fahrer
ordentlich flott. Auch wenn ich es nicht darauf anlegte, kam ich an den
meisten Ampeln vielleicht nicht als erster, aber doch als zweiter los.
Und da auch die Geräuschkulisse des Motors kein wirklicher Indikator für
Geschwindigkeit ist, lohnen sich rechtzeitige Kontrollblicke auf den
digitalen Tacho. Ansonsten bekommt man völlig unerwartet in der nächsten
Polizeikontrolle auf Video vorgeführt, wie flott man tatsächlich
unterwegs war. In der Stadt zeigte der Quadro sowohl im Solo- als auch
im Soziusbetrieb eine völlig ausreichende und flotte Beschleunigung.
Auf
der Landstraße nun musste er mich aber in einer ganz anderen Disziplin
überzeugen: Von der großen Scheibe auf meinem Reisedampfer verwöhnt,
erwartete ich nun bei höheren Geschwindigkeiten ein kräftigeres Zerren
am Helm und deutlichere Windgeräusche, als ich es sonst gewohnt bin.
Aber hier „enttäuschte“ mich der Quadro: Trotz seiner relativ kleinen
Scheibe fand ich mich auch auf der Landstraße genauso windgeschützt
wieder, als würde ich auf meinem Reisedampfer sitzen. Dies dürfte
allerdings bei Fahrern mit einer Körpergröße von deutlich über 1,80 m
ganz anders werden. Hier würde ich erwarten, dass der Fahrtwind von der
Originalscheibe dann genau auf, ggf. sogar unter den Helm gewirbelt
wird.
Ich
dagegen kostete das schöne Wetter auf mehreren Landstraßen aus, die ich
sehr bequem sitzend nun auf drei Rädern erkundete. Natürlich halten
Beschleunigung und Durchzug nicht dem Vergleich mit dem mir so
vertrauten Reisedampfer stand. Aber das muss auch gar nicht sein, ist
der Quadro 350 D doch für ein ganz anderes Einsatzgebiet konzipiert.
Als
Stadtfahrzeug mit der Möglichkeit darüber hinaus auch mal eine kleine
Feierabend- oder Wochenendrunde im Umland zu drehen, bietet der Quadro
350 D tolle Möglichkeiten. Nach etwas Eingewöhnungszeit kommt die
Fortbewegung mit ihm dem des Motorradfahrens schon sehr nahe und
ermöglicht mit der Nase im Wind das Gefühl von Freiheit auf zwei (na,
gut: drei) Rädern. Insbesondere für alle diejenigen, für die ein
Motorradführerschein aus verschiedenen Gründen keine Alternative ist,
bietet der Quadro 350 D die Möglichkeiten gemeinsamer Ausfahrten mit
Freunden.
Somit
erscheint er für jeden, der bereits einen Motorradführerschein hat,
keinen wirklichen Vorteil im Vergleich zu den zweirädrigen Exemplaren zu
haben. Für Menschen ohne Motorradführerschein dagegen verspricht er
eine Chance auf einen echten Zugewinn an Lebensqualität.
Als
kleines Manko muss der Spritverbrauch, der schnell mal auf sieben Liter
klettern kann, angesprochen werden. Wer das aber in der
Gesamtkalkulation mit Kaufpreis (etwa 7000 Euro Neupreis) und den
eingesparten Kosten für einen Motorradführerschein berücksichtigt, wird
damit leben können.
Der Artikel ist außerdem im Printbereich der Bikerbörse am 26.10.2012 erschienen und wird für einige Zeit http://www.zweitehand.de/images/zh/pdf/bb44quadro.pdf abrufbar sein.
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