Montag, 5. September 2016

Tourer meets Roller

September 2012:


„So etwas habe ich vor ein paar Jahren zuhauf in Paris herumfahren sehen. Nun sag mir doch einmal, welche Existenzberechtigung diese Fahrzeuge haben“ war der Beginn eines Gesprächs mit Frank Kirstein vom Kawasaki-Händler AMS im Berliner Süden. Und schon hatte ich mich als ziemlich ahnungslos geoutet.


Ich meinte damit solch ein vermeintlich merkwürdiges Gefährt, das anstelle eines Vorderrads davon gleich zwei mit sich herumführt und mir bei einem Besuch in einer Ecke des Verkaufsraums auffiel. Mit einem Schmunzeln im Gesicht klärte Frank mich auf: Zum einen, dass ich solch ein Modell gewiss nicht vor ein paar Jahren in Paris gesehen hätte, sondern dass dies seinerzeit wohl der eine oder andere Piaggio MP3 gewesen sein mag. Hier handele es sich aber um ein Quadro 350 D, also einen ebenfalls aus italienischem Hause stammenden Mitbewerber.
Und die Exstenzberechtigung wurde bei der Gelegenheit auch schnell erläutert: Durch das doppelte Vorderrad gilt dieses Fahrzeug bei uns als mehrspuriges Fahrzeug und darf deswegen auch mit einem ganz normalen PKW-Führerschein gefahren werden. Nicht nur mit einem von diesen älteren Exemplaren, irgendwann von 1980 oder früher, mit dem die Besitzer auch schon 125er fahren dürfen. Nein, mit jedem gültigen PKW-Führerschein darf man ein solches „Dreirad“ um die Ecken jagen.


Sofort fielen mir mehrere Menschen in meinem Umfeld ein, die mir zwar neidisch auf meinem „Reisedampfer“ genannten Motorrad hinterherblicken, aber vor dem Aufwand und den Kosten für einen Motorrad-Führerschein zurückschrecken. Diese Maschine vor mir schien für solche Menschen wie gemacht zu sein. Auch wenn ich ansonsten aufgrund meiner längeren Reisen bekennender Freund von Tourenmotorrädern bin, musste ich nun natürlich wissen, ob sich solch ein Gefährt auch wirklich wie ein Motorrad bewegen lässt.


„Aber nur unter einer Bedingung“ versprach Frank mir, dieses Fahrzeug für eine ausgiebige Probefahrt zur Verfügung zu stellen: Ich müsse mich auf das Fahrzeug einlassen, ihm mit ein wenig Geduld ausreichend Gelegenheit geben, mich zu überzeugen. Und ich solle nicht voreingenommen an das Fahrerlebnis herangehen. Leichter gesagt als getan, aber ich tat so, als wäre das für mich kein Problem.
Also sahen wir uns den Quadro 350 D etwas genauer an, um mich mit seiner Funktionalität vertraut zu machen. Ein Automatikgetriebe ist für Rollerfahrer ebenso wenig Neues wie die Notwendigkeit, beim Drehen des Zündschlüssels eine der 3(!) Bremsen betätigen zu müssen.
Genau, das Fahrzeug ist tatsächlich mit drei Bremsen ausgestattet. Seitlich am Lenker angebracht findet man die Handbremshebel für Vorder-(rechts) und Hinterradbremse (links). Und da das Fahrzeug eben auch nur mit einem gültigen PKW-Führerschein gefahren werden darf, ist ein Bremspedal zusätzlich im rechten Fußraum plaziert.


Unterhalb des Lenkers ist ein roter, deutlich sichtbarer Schieberegler angebracht, der die beiden neigungsfähigen Vorderräder arretiert. Mit so fixierten Vorderrädern auf dem heimischen Grundstück oder in der Garage abgestellt kann das Fahrzeug allein stehen gelassen werden, weil es infolge der feststehenden Vorderräder nicht mehr umkippen kann. Lediglich auf öffentlichem Straßenland und verbunden mit der Gefahr, nicht nur neugierige Blicke auf sich zu ziehen sondern manch probierfreudigen Interessenten zu einem „Was passiert denn, wenn ich diesen roten Hebel betätige“ zu locken, reicht das nicht aus. Hier empfiehlt sich der sichere Stand auf dem Hauptständer.


Ansonsten findet man im Cockpit neben einem analogen Drehzahlmesser mit weißem Hintergrund eine Digitalanzeige für Tacho, Uhrzeit, Kilometerstand sowie einigen Warn- bzw. Kontrolleuchten. Alle Anzeigen sind sowohl tagsüber bei verschiedenen Witterungsverhältnissen als auch bei Dunkelheit sehr gut abzulesen. Die Kombination aus analogen und digitalen Anzeigen muss man wohl mit Blick auf die Motorräder der meisten Hersteller als zeitgemäß bezeichnen; ob es dem persönlichen Geschmack entspricht, wird jeder für sich selbst entscheiden können.


Die übrigen (Standard-)Funktionen finden sich dort, wo sie hingehören: Links am Lenker die Umschaltung auf Fernlicht, die Hupe sowie der Blinker für beide Seiten mit mittigem Rückstellknopf und auf der rechten Seite neben dem elektrischen Starter und dem Lichtschalter sogar eine Möglichkeit, im Bedarfsfall eine vorhandene Warnblinkschaltung zu aktivieren.


Unterhalb des Lenkers sind außerdem einige kleinere Staufächer untergebracht für die berühmten Kleinigkeiten, die man gerne so bei sich hat. In dem untersten Fach befindet sich außerdem in der Rückwand platziert eine kleine Steckdose, über die beispielsweise ein Navigationsgerät mit Strom versorgt werden kann.


Ein geräumiges Staufach findet sich dann natürlich unterhalb der Sitzbank. Allerdings bekommt man dort leider keine zwei Integralhelme verstaut. Ansonsten rundet ein kleiner Gepäckträger das Transportangebot ab. Hier können Taschen mit Hilfe geeigneter Spanngurte befestigt oder ggf. auch ein kleineres Topcase angebracht werden.


Die Sitzbank selbst ist stark ausgeformt, ausreichend breit und straff gepolstert. Für den Sozius ist eine deutlich erhöhte Sitzposition vorgesehen, die auch kleineren Mitfahrern oder Mitfahrerinnen einen freien Blick über den Fahrer hinweg ermöglicht. Eine pfiffige Detaillösung hat sich der Hersteller bei den Sozius-Fußrasten einfallen lassen. Diese werden im Soziusbetrieb mit sanftem Druck über eine Federwirkung ausgeklappt, im Solobetrieb kann man sie mit ebenso leichtem Druck wieder einklappen und erhält sich damit den schnittigen Karosserieverlauf.


Zum Thema Karosserie: Insbesondere von vorn wirkt der 350D kräftig; sein markanter Doppelscheinwerfer signalisiert Dynamik. Irgendwie erinnert der 350 D, wenn er so vor einem steht, an einen Hufe scharrenden Bullen, der nur zu gerne loslegen möchte.


Also tun wir ihm den Gefallen und ich drehe – zunächst auf dem Geschäftsgrundstück – meine ersten vorsichtigen Runden. Dabei bekomme ich das breit angelegte doppelte Vorderrad zunächst nicht aus dem Kopf und traue mich kaum, mich in die Kurven zu legen. Dementsprechend groß werden die ersten Kurvenradien und ich fürchte schon, Wendemanöver könnten zu „ich fahre mal um den Block“ mutieren. Aber kaum verlasse ich mich auf den Rat von Frank und traue dem Gefährt auch etwas Schräglage zu, geht es gleich deutlich besser.
Tatsächlich dachte ich zunächst, man würde den Quadro 350 D wie ein Quad bewegen, also sehr aufrecht und ohne Kurvenneigung. Wegen der neigbaren Vorderräder fährt man aber tatsächlich vom Bewegungsablauf auch mit diesem „Dreirad“ wie auf einem Motorrad um die Kurven.
Nachdem ich das verstanden hatte, ging es los in den Straßenverkehr. Und natürlich begann es genau in diesem Moment, ein wenig zu nieseln. Also ging ich es wieder etwas vorsichtiger an und erahnte an den verschiedensten Stellen ein leichtes oder deutliches Wegrutschen. Jedenfalls befürchtete ich dies, jedoch ohne, dass solche Momente wirklich eintraten. Tatsächlich wirkte der Quadro 350 D auch bei nassen Straßen und Nieselwetter mit seinen zwei Vorderrädern äußerst stabil und flößte mehr und mehr Sicherheit ein.
Dennoch beließ ich es an diesem ersten Tag wegen des ungemütlichen Wetters bei nur wenigen Probekilometern und spekulierte auf die folgenden Tage und besseres Wetter. Auf erste Nachfragen meiner Freunde, wie ich denn klargekommen sei, antwortete ich noch ein wenig ausweichend. Irgendwie würde es schon am Motorradfahren erinnern, aber irgendwie sei es doch auch etwas völlig anderes. Und im Geiste hörte ich Franks mahnende Worte, ich solle mich auf den 350 D einlassen und ihm Zeit geben, mich zu überzeugen.


Am folgenden Morgen überzeugte mich zunächst erst einmal das deutlich bessere Wetter. Schnell stand der Entschluss fest, den Quadro 350 D nicht nur in der Stadt, sondern auch ein wenig auf der Landstraße auszuprobieren. Immerhin soll er ja auch landstraßentaugliche Geschwindigkeiten meistern und darüber hinaus etwa 120 km/h anpeilen.
Schon beim Start war dann etwas anders als am Vortag. Irgendwie hatte mir die kleine Pause gut getan und ich traute dem doppelten Vorderrad im Vergleich zum Vortag ganz offensichtlich mehr Schräglage zu: Fast wie immer bog ich vom Grundstück auf die Straßen und brauste auf den drei Rädern los. Apropos losbrausen: Der kleine nur 310 cm3 große Motor beschleunigt die immerhin etwa 220 kg Leergewicht zzgl. Fahrer ordentlich flott. Auch wenn ich es nicht darauf anlegte, kam ich an den meisten Ampeln vielleicht nicht als erster, aber doch als zweiter los. Und da auch die Geräuschkulisse des Motors kein wirklicher Indikator für Geschwindigkeit ist, lohnen sich rechtzeitige Kontrollblicke auf den digitalen Tacho. Ansonsten bekommt man völlig unerwartet in der nächsten Polizeikontrolle auf Video vorgeführt, wie flott man tatsächlich unterwegs war. In der Stadt zeigte der Quadro sowohl im Solo- als auch im Soziusbetrieb eine völlig ausreichende und flotte Beschleunigung.
Auf der Landstraße nun musste er mich aber in einer ganz anderen Disziplin überzeugen: Von der großen Scheibe auf meinem Reisedampfer verwöhnt, erwartete ich nun bei höheren Geschwindigkeiten ein kräftigeres Zerren am Helm und deutlichere Windgeräusche, als ich es sonst gewohnt bin. Aber hier „enttäuschte“ mich der Quadro: Trotz seiner relativ kleinen Scheibe fand ich mich auch auf der Landstraße genauso windgeschützt wieder, als würde ich auf meinem Reisedampfer sitzen. Dies dürfte allerdings bei Fahrern mit einer Körpergröße von deutlich über 1,80 m ganz anders werden. Hier würde ich erwarten, dass der Fahrtwind von der Originalscheibe dann genau auf, ggf. sogar unter den Helm gewirbelt wird.
Ich dagegen kostete das schöne Wetter auf mehreren Landstraßen aus, die ich sehr bequem sitzend nun auf drei Rädern erkundete. Natürlich halten Beschleunigung und Durchzug nicht dem Vergleich mit dem mir so vertrauten Reisedampfer stand. Aber das muss auch gar nicht sein, ist der Quadro 350 D doch für ein ganz anderes Einsatzgebiet konzipiert.
Als Stadtfahrzeug mit der Möglichkeit darüber hinaus auch mal eine kleine Feierabend- oder Wochenendrunde im Umland zu drehen, bietet der Quadro 350 D tolle Möglichkeiten. Nach etwas Eingewöhnungszeit kommt die Fortbewegung mit ihm dem des Motorradfahrens schon sehr nahe und ermöglicht mit der Nase im Wind das Gefühl von Freiheit auf zwei (na, gut: drei) Rädern. Insbesondere für alle diejenigen, für die ein Motorradführerschein aus verschiedenen Gründen keine Alternative ist, bietet der Quadro 350 D die Möglichkeiten gemeinsamer Ausfahrten mit Freunden.
Somit erscheint er für jeden, der bereits einen Motorradführerschein hat, keinen wirklichen Vorteil im Vergleich zu den zweirädrigen Exemplaren zu haben. Für Menschen ohne Motorradführerschein dagegen verspricht er eine Chance auf einen echten Zugewinn an Lebensqualität.
Als kleines Manko muss der Spritverbrauch, der schnell mal auf sieben Liter klettern kann, angesprochen werden. Wer das aber in der Gesamtkalkulation mit Kaufpreis (etwa 7000 Euro Neupreis) und den eingesparten Kosten für einen Motorradführerschein berücksichtigt, wird damit leben können.

Der Artikel ist außerdem im Printbereich der Bikerbörse am 26.10.2012 erschienen und wird für einige Zeit http://www.zweitehand.de/images/zh/pdf/bb44quadro.pdf abrufbar sein.





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