Montag, 5. September 2016

Helmtest: Reevu-FSX1

April 2013:


Aus den Niederlanden ist ein ganz besonderes Produkt auf den deutschen Markt gekommen: Reevu hat nun den ersten Klapphelm mit eingebauter Spiegeltechnologie für die rückwärtige Blickführung auch während der Fahrt entwickelt. Zu dem FSX-1 findet man auf der Hersteller-Homepage folgende Informationen:


Reevu FSX-1

„Nach dem MSX1 Integral hat Reevu aktuell auch den ersten Systemhelm mit 363° Rundumsicht zur Serienreife gebracht – den Reevu FSX1 Systemhelm. Auch hier gilt: Ein kurzer Blick nach oben – und Sie haben alles gesehen, was Sie sehen müssen.

Reevu FSX-1 Spiegel

Ein besserer Überblick nach hinten senkt die Unfallgefahr. Nicht nur diese lebensrettende Technologie, sondern noch viel mehr innovative Eigenschaften machen jeden Reevu-Helm zum idealen Kopfschutz für Motorradfahrer.

 Reevu FSX-1 Blick durch den Spiegel

Der FSX1 verbindet das einzigartige Sicherheitskonzept zusätzlich mit dem Komfort eines Systemhelms – und macht ihn so zur ersten Wahl für die Vielfahrer unter den Motorradfahrern: Tourer und Motorrad-Reisende.

• AUSSEHEN

Der Reevu FSX1 Systemhelm ist in zwei Farben, Weiss und Schwarzmatt, verfügbar.

• SICHERHEIT

Auch der FSX1 übertrifft die Anforderungen aller weltweit geltenden Sicherheitszertifikate, denn bei Unfällen ist das optische System eine zusätzliche Knautschzone. Der Helm erfüllt zudem ohne Einschränkungen die aktuelle europäische Norm ECE-R22.05.

Reevu FSX-1 Vision System

• VISION-SYSTEM

Das Vision-System besteht aus reflektierendem, unzerbrechlichem Polykarbonat (ABS) und gibt dem Fahrer somit ein deutliches Straßenbild, während die Sicht nach vorn nicht behindert oder unterbrochen wird. Dadurch kann der Motorradfahrer mit einem Blick die gesamte Verkehrslage um ihn herum erfassen.

• MATERIAL

Der Duroplasthelm ist ein so genanntes Tri fibre composite. Er besteht aus Duromeren in mehreren Materialschichten. In der Außenschale sind Glasfaser, Kevlar und Karbon verarbeitet.

Reevu FSX-1 Innenausstattung

• KOMFORT

Bei der Helmgestaltung wurde sehr auf den Tragekomfort geachtet; das Innenfutter ist vollständig herausnehmbar, waschbar und sehr hygienisch.

• VISIER

Sowohl das vordere als auch das hintere Visier besteht aus einem Material, das nicht beschlägt und kratzfest ist – so profitieren Sie von einer besonders langen Nutzungsdauer. Die Helme werden von uns ausschließlich mit klarem Visier vorne und hinten geliefert. Das Visier des FSX1 ist bereits Pinlock-vorbereitet.

• BELÜFTUNG

Der Reevu-Helm ist mit dem technisch hochwertigen, patentierten Venturi-Lüftungssystem ausgestattet. Ein Luftein- und ein Luftauslass sorgen nicht nur für Kühlung, sondern gleichzeitig auch dafür, dass eventuell entstandene Kondensfeuchtigkeit direkt aus dem optischen Teil des Helms entweichen kann.

Reevu FSX-1 Verschluss

• VERSCHLUSS

Der FSX1 schließt mit einem Rastensystem. Dadurch lässt sich der Helm schnell auf- und auch wieder absetzen.

• AERODYNAMISCHE EIGENSCHAFTEN

Der Motorradhelm wurde in verschiedenen Windkanälen ausführlich getestet, um ausgezeichnete aerodynamische Eigenschaften zu garantieren.“


Reevu FSX-1 Gewicht

Neben dieser besonderen Spiegeltechnologie fällt an dem Helm vor allem sein überaus geringes Gewicht auf: Lediglich 1550g sind für einen Klapphelm außergewöhnlich wenig. 

Ferner muss man wegen der Spiegeltechnologie auf ein integriertes Sonnenvisier verzichten.


Schon gleich zu Beginn der praktischen Erprobung traten erste Schwierigkeiten mit dem FSX-1 von Reevu auf: Im Frühjahr konnte man ihn lediglich auf zwei Motorradmessen anprobieren. Ich habe das in Dortmund versucht und erlebte dabei eine gehörige Überraschung: Eigentlich benötige ich die Helmgröße 56/57, aber selbst die kleinste vorhandene Größe des FSX-1, immerhin eine 52/53, war mir insgesamt zu groß, der Helm ließ sich viel zu sehr und viel zu leicht auf meinem Kopf hin und her bewegen. Gleichzeitig hatte ich aber auch das Gefühl, dass der eher kurz geschnittene Helm im Bereich des seitlichen Übergangs vom Unterkiefer zum Hals durchaus etwas weiter hinunterreichen dürfte. Nun denn, etwas dickere Wangenpolster sollten eine bessere Passgenauigkeit bringen. Leider warte ich noch heute auf diese.

Also habe ich versucht, auch ohne diese dicken Polster einige Kilometer mit dem FSX-1 zurückzulegen. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Diese Kilometer waren eine einzige Enttäuschung!




Zunächst haben sich die Befürchtungen hinsichtlich der Passform in vollem Umfang bestätigt: Mir ist nicht klar, welche Kopfform man haben soll, damit dieser Helm passen kann. Am Übergang vom Unterkiefer zum Hals ist er definitiv zu kurz und lässt sogar zu dem an meiner Rukka-ARMAS-Jacke angebrachten und hoch schließenden Windstopper-Kragen einen Spalt nackter Haut frei, die so dem Fahrtwind ausgesetzt ist. Irgendwo dort pfeift auch der Wind schon bei geringen Geschwindigkeiten in den Helm hinein und entwickelt dadurch eine erhebliche Geräuschkulisse.

Ansonsten ist das Innenfutter dieses als Größe 52/53 gekennzeichnete Helms trotz meiner Kopfgröße von 56/57 derart wenig passend und viel zu weich, dass sich während der Fahrt geradezu Luftwirbel im Helm bilden: Meine für die Navi-Ansagen angestöpselten Ohrhörer, die ich während solcher Testfahten regelmäßig unter dem Helm trage, wurden durch diese Verwirbelungen gelockert und sogar ein kleines Stückchen aus den Ohren herausgezogen. Etwas Vergleichbares habe ich noch nie erlebt!




Das Hauptargument für diesen Helm aber ist seine eingebaute Spiegelkonstruktion. Nach einigen geduldigen Justierungen im Ruhezustand stieg die Spannung, wie gut dieses System während der Fahrt zu nutzen sein würde. Hier traten mehrere Schwierigkeiten auf:

Zunächst steht konstruktionsbedingt durch die Ausgestaltung des in die Helmschale integrierten Spiegelkanals unabhängig von der tatsächlichen Größe des stirnseitig angebrachten Spiegels eine funktionale Spiegelfläche von lediglich etwa 1 x 5 cm zu Verfügung. Die restliche Spiegelfläche, insbesondere der jeweils linke und rechte Rand, gibt nichts von der hinter einem befindlichen Fläche preis. Die kleine tatsächlich nutzbare Spiegelfläche führt aber dazu, dass schon bei leichten Kopfbewegungen, vor allem nach oben oder unten, die Blickrichtung nicht mehr stimmt und ich somit einen Hauch von Himmel oder einen Hauch meiner eigenen Sitzbank erahnen konnte. Dieses Problem wird durch die schlechte Passform und die daraus resultierenden Bewegungen des Helmes auf dem Kopf bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten bzw. Windverhältnissen noch verstärkt.

Wegen des während der Fahrt vorhandenen Sonnenscheins habe ich – nicht zuletzt auch infolge der fehlenden Sonnenblende im Helm – eine Sonnenbrille genutzt. Der obere Teil des Brillengestells war dann bei den Versuchen, im Spiegel etwas zu erkennen, meist im Weg. Abhilfe schufen nur ausweichende Kopfbewegungen, die aus Gründen der Verkehrssicherheit inakzeptabel lange Blickführungen weg von der Straße hin zum Spiegelsystem erforderten. Außerdem nahm die der Verkehrssituation ansonsten sehr angepasste Tönung meiner Sonnenbrille vom Spiegelsystem so viel Licht weg, dass – wenn überhaupt – dort nur schemenhafte Umrisse zu erahnen waren.

Auch dadurch war ich regelmäßig zu lange abgelenkt und konnte den Blick nicht ausreichend auf die Verkehrssituation VOR dem Motorrad ausrichten. Insofern verbirgt sich nach meiner Einschätzung hinter dem theoretischen Vorteil dieser Spiegelidee in der tatsächlichen Ausführung eher eine Pseudo-Sicherheit, die aber tatsächlich die Gefahr eines Unfalls infolge eingeschränkter Konzentration für die Verkehrssituation vor dem Motorrad eher vergrößert.

Aber auch hinsichtlich seiner Verarbeitungsqualität hat der FSX-1 bei mir zu viele Fragezeichen hinterlassen: Dass er sich für mich nicht wertig anfühlt, dass sein ansonsten ja überaus positiv geringes Gewicht in Kombination mit dem Eindruck von wenig hochwertigen Materialien und Klappern an den beweglichen Teilen etc. nicht zu überzeugen vermag, kann noch in die Schublade der subjektiven persönlichen Wahrnehmung gelegt werden: Vielleicht würden andere Nutzer dieses Helms das auch anders empfinden und beurteilen.




Aber als nach nur einer Testfahrt und ohne, dass der Helm heruntergefallen oder irgendwo angestoßen ist, ein Defekt oberhalb der unfunktionell kleinen Kopfbelüftung festzustellen ist, hat dies nichts mehr mit nur subjektiven Eindrücken zu tun.




Hier entsteht bei mir der Eindruck, als würde sich Material von innen nach außen bewegt haben, vielleicht so, als wenn dort eine Naht bestünde, die sich aufgeworfen hat. Ich finde diese Frage derart interessant, dass ich den Helm zusammen mit meinen Eindrücken an den Hersteller zur Überprüfung zurücksenden werde: Ich bin gespannt, ob mir transparent und offen die Möglichkeit eingeräumt wird, den Untersuchungen beizuwohnen und zu erfahren, welches Problem hier bestand.

Insgesamt hat mich der Reevu FSX-1 in keinem Punkt überzeugen können. Vielmehr haben mich die mit einer unfallträchtigen Ablenkung einhergehenden wenig überzeugenden Nutzungsmöglichkeiten des Spiegelsystems sowie der jetzt eingetretene Defekt an der Helmschale ohne äußere Einwirkung geradezu erschreckt. In der Kombination aller Eindrücke und Erfahrungen mit dem Reeu FSX-1 ist für mich keine andere Bewertung als 0 von 5 möglichen „Like-Bikes“ zu rechtfertigen.




Update 15.07.2013:



Fast 8 Wochen ist es nun her, dass ich meine wenig erfreulichen Erlebnisse mit dem FSX-1 von Reevu veröffentlichte. Noch am 23. Mai 2013 selbst habe ich den niederländischen Importeur informiert und unter Hinweis auf meine Veröffentlichung darum gebeten, an den Untersuchungen des Schadens am Helm teilnehmen zu dürfen.

Genau drei Wochen später, nämlich am 13.06.2013, ging bei mir eine E-Mail des Importeurs ein, der meinen negativen Eindruck vom Helm bedauerte. Leider habe man kein eigenes Testlabor zur Verfügung, sei aber an einem Gespräch mit mir interessiert und wolle sichergehen, dass mir kein Vor-Serienmodell vorgelegen habe. Wie man dies erreichen wolle und wie man der Ursache des Schadens auf die Spur kommen wolle, wurde nicht thematisiert. Außerdem bat man mich um Vorschläge für mögliche Gesprächstermine.

Noch am selben Tag und keine halbe Stunde später habe ich mit mehreren Terminvorschlägen reagiert und ggf. um Alternativvorschläge gebeten, falls keines meiner Angebote umsetzbar sei. Auf eine Antwort warte ich aber leider noch bis heute!

Somit wurde bislang keiner meiner Zweifel an der Qualität dieses Helms ausgeräumt. Zu allem Überfluss stellen sich bei mir nun noch weitere Fragezeichen ein: Was für einen Service hat eigentlich der „normale“ Kunde im Reklamationsfall zu erwarten, wenn schon die von mir angesprochenen Probleme nunmehr fast 8 Wochen lang ungelöst fortbestehen? Was macht ein solcher Kunde, der, im Gegensatz zu meiner komfortablen Situation, auf einen Helm angewiesen ist, der wahrscheinlich sein einziger sein dürfte?

Bei diesen Fragen ist dann auch Reevus momentanes Vertriebskonzept für Deutschland zu berücksichtigen: Nahezu ausschließlich erfolgt der Vertrieb über an einigen Hotels angegliederte Helmtestcenter, in denen verschiedene Modelle vor Ort zur Probe gefahren werden können. Ob man bei diesem aus meiner Sicht an sich sehr löblichen Ansatz auch auf eine fachkundige Beratung vor Ort zählen darf, vermag ich nicht einzuschätzen. Aber wie ist die Situation dann im Falle einer Reklamation? Wer ist für den Kunden der Ansprechpartner, wer fühlt sich für die Regulierung verantwortlich und wie wird diese sichergestellt?

Heute werden viele Produkte nur über das Internet und damit ohne persönliche Beratung durch Fachleute vor Ort verkauft. Ob in diesem Zusammenhang der Kauf eines Helms eine eher beratungsintensive Angelegenheit ist, die man besser mit entsprechender Beratung beim Händler vor Ort erledigt, oder ob man auch getrost online aktiv werden kann, das mag bitte jeder für sich entscheiden. Aber zumindest für Gewährleistungsansprüche bedarf es konkreter Verantwortlichkeiten und eines zügigen und unbürokratischen Handlings, sofern man Kunden dauerhaft binden möchte. Ob Reevu das wird leisten können, bleibt für mich nach meinen Erfahrungen zweifelhaft.

Wie heißt es als Fazit in solchen Situationen gerne? Sowohl das Produkt als auch der Service haben noch extrem viel Spielraum nach oben... aber nach meinen Erlebnissen auch noch einen weiten Weg zurückzulegen.





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