November 2012:
Viele
Motorradfahrerinnen und Motorradfahrer werden auch an den jetzt
anstehenden Tagen mit früh einbrechender Dämmerung und regen- oder
nebelbedingt beeinträchtigten Sichtverhältnissen auf den Straßen
unterwegs sein. Da stellt sich irgendwann unweigerlich die Frage, ob man
versucht, die eigene Sichtbarkeit zu verbessern. Während die einen aus
optischen oder Imagegründen das Tragen sog. Sicherheits- oder Warnwesten
für sich ausschließen, nimmt die Zahl der Westenträger kontinuierlich
zu; der Handel hält eine große Auswahl in unterschiedlichen Qualitäts-
und Preisstufen bereit.
Über diese Auswahlmöglichkeiten hinaus hat mich ein Angebot ganz besonders angesprochen: Der französische Hersteller Helite
hat sich dem Thema Sicherheit auf dem Motorrad aus einem anderen
Blickwinkel genähert und dann mehrere Aspekte miteinander verbunden:
Aus
modernen PKWs sind Airbags heutzutage nicht mehr wegzudenken, ihr
Schutzpotenzial im Falle eines Unfalls ist unbestritten. Für Motorräder
gilt es, zusätzliche konstruktionsbedingte Schwierigkeiten zu meistern.
So hat Helite das Thema aufgegriffen und Airbag-Jacken und -Westen für
Motorradfahrer entwickelt, die nun auch in Deutschland vertrieben
werden.
Seit
Jahren bestens mit einer Textiljacke des finnischen Anbieters Rukka
ausgestattet, habe ich mich daher mit der Airbag-Weste HI-VIS näher
befasst. Die Weste sieht auf den ersten Blick wie eine der üblichen
Sicherheitswesten aus: Die leuchtend gelbe Grundfarbe wird von Streifen
aus reflektierendem Material unterbrochen. Diese Reflexionsstreifen
erfüllen damit gleichzeitig auch die seit vergangenem Sommer für
Frankreich-Urlauber geforderten Mindestgrößen der Reflexionsflächen auf
Motorradjacken.
Hebt
man die HI-VIS an, merkt man sehr schnell den Unterschied zu
herkömmlichen Sicherheitswesten: Man wird von einem deutlich höheren
Gewicht überrascht. Zum einen ist dies auf das wesentlich stärkere
Material zurückzuführen. Da für die Airbag-Wirkung auch Kammern
geschaffen werden mussten, sind die Westen an den meisten Stellen mit
doppellagigem Material ausgestattet. Dabei wurde auf der Innenseite ein
Mesh-Material verwendet, das eine möglichst gute Belüftung gerade an
wärmeren Tagen ermöglichen soll. Naturgemäß kann ich dazu aufgrund der
aktuellen Temperaturen noch nichts sagen und muss meinen eigenen
Wissensdurst insoweit auf die nächste Saison vertrösten.
Zum anderen ergibt sich das größere Gewicht aus der in einer kleinen Tasche an der Vorderseite der Weste angebrachten CO2-Flasche
. Aus dieser wird im Bedarfsfall das Kammersystem befüllt, um die
Airbag-Wirkung zu erzielen. Dazu ist es notwendig, dass ein an dieser
Flasche befestigter Abreißgurt betätigt wird. Dazu muss das andere
Gurtende irgendwo fest mit dem Motorrad verbunden werden. Wird der
Nutzer dann bei einem Unfall von dem Motorrad geschleudert, löst der
Gurt aus und die Airbag-Kammern werden aufgeblasen. Ansonsten besteht
dieser Gurt aus zwei Teilen, die mittels Schnalle miteinander verbunden
sind. Damit kann man sich schnell von dem am Motorrad befestigten
Gurtende lösen, wenn man vom Bike absteigen möchte; ebenso schnell ist
die Verbindung vor dem Start der nächsten Tour wieder hergestellt.
Ich
habe mich dazu entschlossen, das lose Gurtende links am Lenker zu
befestigen, was mir noch etwas Bewegungsfreiheit ermöglicht, wenn ich
vor dem Absteigen das Lösen des Gurtes doch einmal vergessen sollte.
Immerhin soll der Airbag in diesen Fällen auch erst dann ausgelöst
werden, wenn an ihm mit einer Kraft gezogen wird, die einem Gewicht von
etwa 30 kg entspricht. Allerdings sollte man bedenken, dass die
Befestigung des Gurtendes am Lenker dazu führt, dass sich die Zeitspanne
bis zum Auslösen des Airbags verlängert, wenn man im Falle eines
Unfalls nach vorn über den Lenker absteigt. Hier würde sich eine
körpernahe Platzierung anbieten, ggf. unter der Sitzbank oder dgl. ich
selbst werde an meinem Reisedampfer ebenfalls noch nach
Optimierungsmöglichkeiten suchen.
Das
Auslösen des Airbags soll dazu führen, dass die Kammern der Weste nach
innen hin befüllt werden. Dadurch soll ein zusätzlicher Druck auf den
Körper erzielt werden, der zu einer Anspannung desselben führen soll.
Von einem muskulär vorgespannten Körper verspricht sich der Hersteller
ein geringeres Verletzungsausmaß bei Knochenbrüchen oder Verrenkungen.
Es werden Kammern auf der Brust- wie auch auf der Rückseite der Weste
und vor allem auch zusätzlich im Nackenbereich befüllt. Dadurch soll
zusätzlich auch schweren Verletzungen im besonders gefährdeten
Hals-Nacken-Bereich entgegengewirkt werden.
Positiv:
Wurde der Airbag einmal ausgelöst, ist die Weste – anders, als man es
aus dem PKW kennt – weiterhin verwendbar. Lediglich die kleine CO2-Flasche muss erneuert werden, was der Hersteller zu einem Preis von 22 Euro ebenfalls über seine Homepage anbietet.
Bislang
habe ich die Herstellerangaben noch nicht überprüft, nach denen ein
Befüllen der Airbag-Kammern im erforderlichen Ausmaß innerhalb einer
Zehntelsekunde nach dem Auslösen erfolgen soll. Aber das werde ich –
natürlich nur als „Trockenübung“ und bitte ohne wirklichen Unfall –
gelegentlich ebenfalls testen und per Video dokumentieren. Nach dem
Befüllen der Kammern soll der aufgebaute Kammerdruck für etwa 8 Sekunden
in voller Stärke vorhanden sein und sich dann innerhalb der nächsten
etwa 2 Minuten kontinuierlich wieder abbauen.
Getragen
wird diese Weste über den ansonsten genutzten Motorradjacken. Sie wird
an der Front mit drei Schnallen geschlossen, die ausreichend Zugriff in
die Brusttaschen zumindest meiner Rukka-Jacke „Armas“ ermöglichen, um
nach dem Tanken ohne großen Aufwand das Portemonnaie zücken zu können.
Zusätzlich ist jedenfalls an meiner Fahrschulausführung der Weste per
Klettband eine große Brusttasche angebracht, wobei diese wohl nicht
wasserdicht sein dürfte. Normalerweise befindet sich an den Westen keine
derartige Tasche.
Orientiert an der Maßtabelle, die Helite auf der eigenen Homepage
zur Verfügung stellt, kann man dann aus sechs verschiedenen
Standardgrößen wählen, die jedenfalls in meinem Fall sehr präzise
passen. Ich selbst konnte bei einem ersten Fahrtest über 150 km nur eine
Einschränkung wahrnehmen: Die Weste HI-VIS ist zusätzlich mit einem
zertifizierten Rückenprotektor ausgestattet und bietet so allen, die
bislang ohne Rückenprotektor unterwegs sind, noch ein zusätzliches
Feature. In Kombination mit meiner Rukka-Jacke war dies dann aber des
Guten zu viel und engte zu sehr ein. Ich habe mich dann für den
körpernäher platzierten Protektor der Jacke entschieden und den
Protektor aus der HI-VIS mühelos mit wenigen Handgriffen entfernt.
Bei meiner Sozia fiel zusätzlich auf, das die Positionierung der CO2-Flasche
an der Vorderseite der Weste bei Frauen etwas störend sein kann. Wir
werden das über einen längeren Zeitraum hin beobachten und diesen
Beitrag dann nach weiteren gefahrenen Test-Kilometern entsprechend
ergänzen.
Kleiner
Tipp für alle Interessenten: Es empfiehlt sich, sich beim Ausziehen in
einem Rutsch von Motorradjacke und Sicherheitsweste „zu befreien“, um
beide vor dem nächsten Ausritt ebenso einfach wieder gemeinsam anziehen
zu können. Da die Weste recht große Armausschnitte aufweist, die beim
Tragen die Bewegungsfreiheit nicht unnötig einschränken sollen, neigt
die Weste dann etwas dazu, schnell über die herunterhängenden
Jackenärmel herunterzurutschen. Am besten, man breitet Motorradjacke und
Sicherheitsweste aus, indem man sie über eine Stuhllehne oder dgl. oder
bei längerer Nichtbenutzung auf einen Bügel hängt.
Insgesamt
vermittelte die Weste auf den ersten gefahrenen Kilometern ein sehr
gutes Gefühl, sowohl im Hinblick auf die Sichtbarkeit für andere
Verkehrsteilnehmer als auch auf die zusätzliche Sicherheitsoption durch
den Airbag. Die Konstruktion erscheint zunächst erst einmal aus
theoretischer Sicht gut durchdacht; die praktischen Erfahrungen sollen
dann – wie oben beschrieben hoffentlich nur als „Trockenübung“ - zu
einem späteren Zeitpunkt erfolgen und diesen Beitrag entsprechend
ergänzen.
Finanziell
schlägt das gute Stück leider mit etwa 550 Euro noch recht deutlich zu
Buche. Wir sehen hier wie auch schon an zahlreichen anderen Stellen
(Bekleidung, Protektoren, Handschuhe, Stiefel, Helme...), dass wir ein
zusätzliches Plus an Sicherheit nicht zum Nulltarif erwarten dürfen.
Dabei bin ich mir sehr wohl bewusst, dass es leider viele
Motorradfahrerinnen und Motorradfahrer geben wird, die vom Prinzip
dieser Idee überzeugt sein werden, aber den entsprechenden finanziellen
Spielraum selbst nicht haben. Aber es bleibt für mich die Hoffnung, dass
diejenigen, die auch für Ihre Motorräder und sonstige Ausstattung in
der Lage und bereit sind, etwas tiefer in die Tasche zu greifen, durch
eine erhöhte Nachfrage langfristig den Boden für erschwinglichere
Angebote dieser Art bereiten: Auch diese Entwicklung haben wir bei den
Airbags im PKW-Sektor vor einigen Jahren erleben dürfen.
Ich
jedenfalls bin froh, auf meinen künftigen Fahrten die HI-VIS nutzen zu
können. Und damit verspreche ich mir keinesfalls, mit einem
Allheilmittel alle Risiken des Motorradfahrens verhindern zu können; mir
reicht es insoweit schon aus, eine Chance zu haben, dass die Folgen
eines solchen Risikos vielleicht etwas gemildert werden und ich
hoffentlich im Falle des Falles mit einem symbolhaften „blauen Auge“
davon zu kommen.
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