Es gibt Reifenhersteller, die unter Motorradfahrern einen nahezu uneingeschränkt guten Ruf genießen. Andererseits gibt es Anbieter, bei denen die Meinungen weit auseinandergehen. Über diese wird in diversen Foren mit einem Engagement und Herzblut diskutiert, gefachsimpelt und sogar gestritten, das man glaubt, das künftige Wohl der gesamten Menschheit könne davon abhängen. Befürworter dieser Marken werden gerne als anspruchs- und/oder ahnungslos dargestellt, insbesondere von sogenannten Meinungsbildnern, Leithämmel oder wie sich diese Personen auch immer sehen mögen.
Solch ein Anbieter ist die britische Traditionsmarke AVON, die jedenfalls öffentlich im Touren- und Reisebereich gewiss nicht die größte Fangemeinde hinter sich weiß. Gerade unter BMW-Fahrern gibt es den einen oder anderen Hersteller, der eher als erste Reifenwahl genannt wird.
Nach dem überaus überzeugenden Auftritt des Metzeler Z6 an meinem Reisedampfer BMW R1150RT juckte und kribbelte es mich, meiner Neugierde und Experimentierlust nachzugehen. Also entschloss ich mich zu einem eventuellen Wagnis: Als nächstes sollte mich ein Paar AVON Storm 2 Ultra auf meinen Wegen begleiten.
Was wird den Reifen des Herstellers AVON nachgesagt? Sie würden extrem lange, nahezu unbegrenzt halten. Der Grund dafür sei ein sehr hartes Material, das als Preis für die Haltbarkeit nur geringe Haftung ermögliche. Man würde mit Reifen dieses Herstellers Haftungsprobleme haben, die sich eigentlich immer, bei Trockenheit, bei Nässe und beim Bremsen, bemerkbar machen würden.
Solche generell schlechten Urteile machen mich neugierig, denn ich stelle mir dann immer die Frage, wie sich ein Hersteller mit diesen Voraussetzungen am Markt halten kann. Also stand mein Entschluss recht bald fest: Ich möchte etwas Neues ausprobieren und werde diese AVON-Reifen testen. Ganz bewusst unter den härteren Bedingungen der schlechteren Jahreszeiten, also im Herbst 2011 und im Frühjahr 2012, wenn herabgefallene Blätter und Feuchtigkeit die Straßen beeinträchtigen, den möglichen Grip der Reifen auf eine harte Probe stellen aber auch manch warmer Herbst- oder Frühlingstag den Haftungstest auf trockenen Fahrbahnen zulässt.
Nach erfolgtem Reifenwechsel habe ich mich zunächst ganz vorsichtig daran gemacht, die neuen Gummis einzufahren. Nur allzu sehr klangen noch die vielen Warnungen in meinen Ohren wegen der angeblich wenig überzeugenden Haftung.
Mittlerweile habe ich nach nur zwei Wochen schon wieder etwa 1000 km mit den neuen Reifen abgespult. Wie fällt das erste Fazit aus? Gemessen an meiner Erwartungshaltung muss man genau genommen den Reifen als Enttäuschung bezeichnen. Warum? Nun, was macht er nicht?
Er rutscht nicht! Jedenfalls bei trockener Fahrbahn rutscht er nicht! Er braucht im direkten Vergleich zum Z6, der für mich bislang die Messlatte markiert hat, vielleicht etwas länger, um maximalen Grip aufzubauen. Während ich beim Z6 den Eindruck hatte, er würde vom ersten Meter an auf der Fahrbahn kleben, tun dem AVON einige gefahrene Minuten gut. Nach diesen wenigen Minuten aufgebauter Wärme fährt er sich überraschend unspektakulär und irgendwie "ganz normal", so dass meine Experimentierfreude doch fast schon ein wenig enttäuscht ist.
Lediglich im Harz und aktuell in der Eifel hatte ich in sehr engen Kehren den Eindruck, als würde der Hinterreifen ein wenig zum Wegschmieren neigen. Ob dem wirklich so ist oder ob ich da noch von den Vorurteilen beeinträchtigt bin und mir etwas einbilde, das weiß ich noch nicht so genau. Fakt ist, dass Vorder- und Hinterradreifen an den Flanken unterschiedlich weit angefahren werden: Mein erster Blick auf den Hinterreifen machte mich ziemlich stolz. Bekanntlich bin ich nicht gerade als Kurvenkönig und Rastenschleifer bekannt, so dass offensichtliche Fahrspuren bis an den seitlichen Rand des Profils mir eine für meine Verhältnisse ganz ordentliche Schräglage suggerierten.
Um so ernüchternder war dann der Blick auf den Vorderreifen, bei dem seitlich bis zum Ende des Profils noch ordentlich Platz ist. Derart unterschiedliche Flankennutzungen kenne ich bisher noch nicht und werde das in Zukunft weiter beobachten. Insgesamt fährt der Reisedampfer quicklebendig, lässt sich gut steuern und auch wie gewohnt abbremsen. Querrillen fallen nicht auf, Längsrillen sind mir bislang noch zu wenige für eine Aussage untergekommen.
Als nächstes werde ich das Handling meines Reisedampfers mit den AVON-Reifen testen: Im Rahmen des 7. Festival of Lights in Berlin werde ich mit ihm als LightBike geführte Motorradtouren zu den illuminierten Highlights der Hauptstadt anbieten. Dabei steht der Härtetest im fast zweiwöchigen Stadtbetrieb an. Ende Oktober bei dann sicherlich kippeligem Wetter müssen sich die Storm 2 Ultra in der sächsischen Schweiz und im Erzgebirge beweisen.
Nach den ersten 1000 Kilometern bei Trockenheit mit den AVON Storm 2 Ultra habe ich den Eindruck, dass viele der pauschalen Vorurteile dem britischen Traditionshersteller Unrecht tun. Die Reifen machen in diesem frühen Stadium meiner Tests einen deutlich besseren Eindruck als erwartet, müssen aber auch den ersten Eindruck zunächst noch im Stadtbetrieb und irgendwann auch einmal bei Feuchtigkeit, Nässe und kühleren Temperaturen bestätigen. Bisher bin ich von ihnen ganz positiv überrascht und für die Zukunft sehr gespannt. Noch hat sich das vermeintliche Experiment allemal gelohnt, denn das Motorradfahren macht weiterhin Spaß.
Update 20.11.2011:
Mittlerweile
habe ich 3500 km mit den AVON Storm 2 Ultra auf meinem Reisedampfer
zurückgelegt. Nach wie vor bin ich sehr zufrieden mit den Gummis, die
ich mittlerweile bei Regen, auf den Straßen liegendem Laub und
Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt sowie über mehrere Stunden
während der LightBike-Touren beim Festival of Lights als Tourguide in
der Berliner Innenstadt gefahren bin.
Gerade
bei den kühleren Temperaturen wird es dann deutlicher: Die Reifen
benötigen zum Gripaufbau etwas Zeit und möchten warmgefahren werden.
Nach einigen Tagen, an denen ich nicht im Motorradsattel saß, hatte ich
dies kürzlich bei 4 Grad Außentemperatur vergessen und bin unbekümmert
wie eh und je losgefahren. Nur wenige hundert Meter später wurde ich in
der ersten Kurve daran erinnert, es etwas geruhsamer angehen zu lassen,
als das Hinterrad wenige Millimeter versetzte. Nichts Problematisches,
halt ein kleiner Erinnerungswink.
Lässt
man den Reifen 5 bis 10 Minuten Zeit, um auf Temperatur zu kommen, sind
sie aber wie eingangs schon beschrieben geradezu unspektakulär
zuverlässig und bewegen den fast 6 Zentner wiegenden Reisedampfer
mühelos um die Ecken. Auch bei Nässe und auf der Straße liegendem Laub
konnte ich keine besonderen Eigenschaften erkennen.
In
der Stadt haben sich die Reifen während der LightBike-Touren bestens
geschlagen. Gerade die an den Wochenenden besonders vollen Straßen
erforderten schon so manch agile und spontane Routenänderung, die
jedenfalls die Handlichkeit des Reisedampfers auf seinen englischen
Schlappen vor keine Probleme stellten.
Auch
der Spritverbrauch unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen
Reifen. Insofern scheint, mir der AVON jedenfalls an der R1150RT eine
durchaus interessante Alternative zu sein. Mit jetzt noch vorhandenem
Profil von vorn 2,5 mm und hinten 4,5 mm darf man auf die Laufleistung
gespannt sein. Ich werde auch dazu weiter berichten.
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